Iuppiter Dolichenus

Iuppiter Dolichenus, Zeus Dolichaios, Hadad, Baal: Der höchste Gott von Doliche, einer antiken Stadt in der der heutigen Südosttürkei, ist im 2. Jh. n. Chr. unter verschiedenen Namen verehrt worden.

In Lambaesis, einem Kastell in Libyen, Nordafrika, weiht der römische Offizier Sextus Iulius Maior im Jahr 125/126 n. Chr. einen Tempel für Iuppiter Dolichenus. Dies ist der erste Beleg für die Verehrung des Gottes außerhalb Doliches. Nur 50 Jahre später treffen wir Dolichenus dann an vielen Orten des römischen Reiches, vor allem an den Grenzen des Reiches, am Hadrianswall in England, entlang des Rheins und der Donau, in Rumänien und auf der Krim. Als „besten und größten Iupiter aus Doliche (Iuppiter Optimus Maximus Dolichenus)“ rufen ihn seine Verehrer, die häufig Soldaten sind, an. Zahlreiche Tempel, Altäre und Reliefs werden ihm um 200 n. Chr. geweiht.

Warum sich der Kult deses Gottes, nachdem er viele hundert Jahre nur in Doliche verehrt wurde, innerhalb kurzer Zeit im ganzen römischen Reich verbreitete, bleibt rätselhaft. Klar ist nur, dass römische Soldaten, die in Syrien und Mesopotamien, an der Ostgrenze des Reiches, eingesetzt wurden, dort mit dem Gott in Kontakt kamen. Als Herrscher der Welt mit kriegerischen wie auch lebenspendenden Aspekten scheint er für sie besonders attraktiv gewesen zu sein. Daher trugen die Soldaten, wenn sie von Einsätzen in Syrien zurückkehrten, die Verehrung des Gottes aus Doliche in ihre alten Lager oder in ihre neuen Einsatzorte. Dort lernte auch die Zivilbevölkerung den Gott kennen.

Das Aufblühen des Kultes fiel in eine Zeit, in der sich auch andere Religionen orientalischen Ursprungs schnell und weit verbreiteten, z. B.  Isis, Mithras oder auch das Christentum. Trotz großer Unterschiede zwischen diesen Religionen war ihnen gemeinsam, dass sie einem gewandelten religiösen Empfinden der Menschen entgegen kamen. Sie integrierten ihre Anhänger durch eine starke gemeinschaftliche Bindung, durch geheimes Wissen, das nur Eingeweihten vertraut war, und eine an dieses Wissen gebundene Aussicht auf eine gute Zukunft.

Mit der Verbreitung des Gottes wandelte sich auch dessen Darstellung. Er passte sein Aussehen den neuen Zeiten an. Zwar stand er weiter auf einem Stier, hielt Axt und Blitz, doch trug er nun die Kleidung römischer Offiziere mit kurzer Tunika und Panzer. Alte orientalische Elemente wie die Hörnerkrone oder der lange Zopf, die auf der Stele von Doliche sichtbar sind, waren für die Gläubigen im Westen des Reiches unverständlich und fielen weg. Die neue Bildsprache präsentierte den Gott zwar deutlich erkennbar und bewusst als „orientalisch“, tat dies jedoch auf eine Weise, die den Menschen im Westen des Reiches vertraut war.

Diese neue Bildsprache war auch in Doliche selbst verbreitet. Eine 2009 im Heiligtum gefundene Bronzeapplik zeigt den Gott in der westlich beeinflussten Tracht. Dieses Bildnis unterscheidet sich deutlich von der Stele in altorientalischer Tradition. Hier treffen anschaulich zwei Ebenen aufeinander: Lokaltkult und Reichsreligion.

In der 2. Hälfte des 3. Jh. n. Chr. werden die Zeugnisse für die Verehrung des Gottes immer weniger. In dieser Zeit wird zudem das Heiligtum von Doliche durch die Perser zerstört. Das Christentum drängt schließlich alle anderen Religionen zurück. Nur noch wenige Weihungen an den Gott stammen aus dem 4. Jh. n. Chr. In dieser Zeit etabliert sich das Christentum auch im Heiligtum von Doliche.